Piccolo

Geschichte

Vorläufer

Im Mittelalter wurde beim Militär zusammen mit der Trommel eine einfache Flöte mit 6 Grifflöchern gespielt. Diese Querpfeife bildete mit der Trommel das charakteristische Instrumentarium des Fußvolkes.

Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden viele Instrumente nach dem Vorbild der menschlichen Stimme zu Instrumentenfamilien in verschiedenen Stimmlagen ausgebaut. So umfasste auch die Flötenfamilie Instrumente aller Stimmlagen: von der Diskantflöte (flauto piccolo) bis zur Bassflöte (flautone).

Entwicklung des Piccolo traverso

Die Vorgängerin der Piccoloflöte (ebenso wie die der Großen Flöte) ist in der militärischen Querpfeife des Mittelalters zu sehen. Als ab Mitte des 17. Jahrhunderts der Flötenbau intensive Impulse erfuhr, wurden die für die Große Flöte ersonnenen technischen Neuerungen schrittweise auch auf die kleine Schwester der Querflöte, das Piccolo traverso, übertragen. Im frühen 18. Jahrhundert begann man, das Piccolo mit 1–4 Klappen zu versehen, weitere folgten im Laufe des Jahrhunderts. In weiterer Folge machte das Piccolo die gleichen Veränderungen mit wie die Querflöte.

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem der Münchner Flötist Theobald Böhm im Jahre 1832 einen revolutionären Klappenmechanismus für die Große Flöte erfunden hatte, wurde diese Mechanik auf das Piccolo angewandt. Jedoch hielten sich bis ins 20. Jahrhundert hinein auch noch Modelle mit älteren Klappensystemen.

Piccolos wurden in den Stimmungen C, Des und Es (Grundton c2, des2, es2, letztere Stimmung wurde besonders beim Militär verwendet) gebaut. Das Rohr war aus Holz, später auch aus Metall gefertigt und wurde leicht konisch gebohrt.

Das Piccolo im Orchester

Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts tauchten in Partituren bereits Stimmen für „flauto piccolo“ bzw. „flautino“ auf, jedoch kann heute nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob diese für das einklappige Piccolo oder eine hohe Blockflöte bzw. ein Flageolett (flageolet) bestimmt waren. Dies betrifft u.a. Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo“ (1711), seine „Wassermusik“ (1715) sowie Antonio Vivaldis drei „Concerti per flautino“. Heute werden diese Parts von der Piccoloflöte ausgeführt.

Ludwig van Beethoven war einer der ersten, der die Piccoloflöte in seinen Werken verwendete, um Naturlaute nachzuahmen, wie z.B. das Pfeifen eines Sturms im 4. Satz seiner 6. Symphonie „Pastorale“ (1808). Giuseppe Verdi versinnbildlichte in „Rigoletto“ (1851) zum ersten Mal einen Blitz durch den Klang eines Piccolos. Weiters wurde das Piccolo für besondere Effekte genutzt, von Wolfgang Amadeus Mozart z.B. in seiner „Zauberflöte“ (1791) zur humoristischen Darstellung von Eunuchen. In vielen Werken wurde der stechende und schrille Fortissimo-Klang zur Verstärkung von Schreckensszenen genutzt.

Die Komponisten der Romantik, allen voran Richard Strauss und Gustav Mahler, integrierten die Piccoloflöte vollständig in die Holzbläsergruppe des Orchesters. Seitdem werden die klangfärbenden Facetten des Piccolo intensiv genutzt und gelegentlich sogar solistisch verwendet.

Bauweise

Rohr

Die Piccoloflöte ist etwa halb so groß wie die Große Flöte.

Im Unterschied zur dreiteiligen Großen Flöte besteht das Rohr der Piccoloflöte aus zwei Teilen: Kopf(stück) und Rohrstück (oft auch "Mittelstück" genannt). Ein Fuß(stück) wie bei der Großen Flöte ist in der Regel nicht vorhanden. Das Mundstück verläuft zylindrisch, während das Rohrstück konisch zuläuft, jedoch kann es auch umgekehrt sein. Neben reinen Holz- und Metallflöten sind auch Kombinationen aus Silberkopf und Holzrohr sowie Plastikflöten in Gebrauch.

Das Anblasloch im Kopfstück der Piccoloflöte ist nur unwesentlich kürzer als das der Großen Flöte, jedoch enger.

Piccolos mit Kopfstück aus Metall haben sehr oft eine Ansatzplatte wie die Große Flöte, während aus reinen Holzflöten ein Anblasloch ausgeschnitten ist. FlötistInnen, die in der Orchesterpraxis oft zwischen Großer Flöte und Piccolo wechseln müssen, ziehen meist Modelle mit Ansatzplatte vor. Damit können sie den Ansatz beibehalten.

Mechanik

Das moderne Piccolo ist wie die Große Flöte mit Böhm'scher Klappenmechanik ausgestattet. Seine Tonlöcher, die ca. 6 mm Durchmesser haben, liegen jedoch enger beieinander und die Klappen sind kleiner. Zudem fällt die zusätzliche Mechanik für das Fußstück weg. Aus diesen Gründen wird das Spielen des Piccolo von vielen FlötistInnen grifftechnisch als einfacher empfunden.

Notation

Die Piccoloflöte wird transponierend im Violinschlüssel notiert:
Der Klang der Piccoloflöte in C (Grundton c2) ist eine Oktave höher als die Notierung.
Der Klang der Piccoloflöte in Des (auch Nonenflöte, Grundton des2) ist eine kleine None höher als die Notierung.

Tonumfang

Der Tonumfang der Piccoloflöte in C reicht von d2 – c5.

Somit liegt der Tonumfang der Piccoloflöte eine Oktave über dem der Großen Flöte. Das Aufsetzen von Fußstücken (zusätzlichen Rohrteilen, die den Umfang in die Tiefe erweitern) auf das Hauptrohr ist bei der Piccoloflöte nicht üblich.

Theoretisch kann durch Aufsetzen eines C-Fußes auf die Piccoloflöte in C der Tonumfang in der Tiefe bis zum c2 erweitert werden (durch einen H-Fuß sogar bis zum h1). Das c2 als tiefsten Ton verlangten in der Orchesterliteratur Giuseppe Verdi in seinem "Requiem" sowie Gustav Mahler in seiner 1. Symphonie.

Tonerzeugnis

Anblasen

Die Tonerzeugung erfolgt nach denselben Prinzipien wie bei der Großen Flöte:

Der/die FlötistIn bläst durch das Mundloch (Anblasloch), wobei der auf die Kante treffende Luftstrahl periodisch nach außen und innen gelenkt wird. Dieser periodisch schwingende Luftstrahl (Luftblatt) ist der Tongenerator und regt die von Zylinderrohr der Flöte umschlossene Luftsäule zu periodischen Schwingungen an. Durch Grifflöcher und Klappen verkürzt der/die SpielerIn die schwingende Luftsäule im Inneren der Flöte, wodurch eine Tonerhöhung bewirkt wird. Der Klang wird am unteren offenen Ende und an den offenen Klappen abgestrahlt.

Die wichtigste Rolle spielen dabei die Lippen des/der FlötistIn. Der Ansatz gestaltet sich bei der Flöte sehr individuell: Form der Lippen, Stellung der Oberlippe zur Unterlippe, Anblaswinkel etc. sind entscheidende Faktoren für die Tongebung. Scharfes Anblasen ergibt einen höheren Ton als weiches Anblasen (dies ist charakteristisch für alle Flöten), der/die FlötistIn gleicht diese Unterschiede durch den Ansatz aus.

Spielen im Piano

PiccoloflötistInnen stehen beim Spiel im Piano einigen besonderen Schwierigkeiten gegenüber. Exzellente SpielerInnen sind daher an ihrer Fähigkeit, leise zu spielen, zu erkennen:

  1. Luftstau (ähnlich wie bei den Doppelrohrblattinstrumenten): Da nur sehr wenig Luft in das Mundloch geblasen wird, atmet der Spieler nicht vollständig aus, was zu einem Rückstau in den Lungen führt. Daher „schnaufen“ PiccoloflötistInnen in Spielpausen oft mehr als ein Tubist (-:

  2. Hohe Töne im Piano sind schwierig zu spielen, da der Luftstrom gerade bei diesen Tönen besonders stark und fokussiert sein muss. So sind fis4 und g4 im Piano schon sehr schwer zu erzeugen, bei noch höheren Tönen ist ein leises Spielen kaum möglich. Die höchsten Töne (h4 und c5) sind nur mehr im Fortissimo möglich.

Spieltechniken

Allgemeines

Auf der technisch extrem beweglichen Piccoloflöte können prinzipiell dieselben Spieltechniken wie auf der Großen Flöte ausgeführt werden.

Einfachzunge

Artikulation der Silbe Da (auch De, Di, Du), wobei sich nur die Zunge bewegt; Lippen und Wangen bleiben unbeweglich. Die härtere Variante mit schärferem Akzent ist Ta (Te, Ti, Tu), die weichere die Buchstaben K oder G. Langsames bis mittelschnelles Tempo.

Auch die abwechselnde Artikulation von Ta und Da wird angewandt.

Vibrato

Mikrotonale periodische Tonhöhenschwankungen und/oder Lautstärkeschwankungen, die durch Zwerchfell-, Kehlkopf- und Lippenbewegungen erzeugt werden. In den verschiedenen Schulen divergieren die Ansichten darüber, welcher dieser drei Faktoren für die Erzeugung eines idealen Vibrato der wichtigste ist.

Sforzato

Sforzato

Forciertes kurzes Anblasen, danach schnelle Reduktion der Tonintensität.

Sforzatissimo

Forciertes kurzes Anblasen, danach Beibehaltung der Tonintensität.

Fortepiano

Rasche dynamische Reduzierung von forte auf piano.

Doppelzunge

Artikulation der Silben Ta-ka, Te-ke, Tu-ku oder ähnliche. Für weich artikulierte Passagen werden die Silben Da-ga, Du-gu oder ähnliche verwendet.

Die Artikulation der Silben Ta-ra, (Te-re oder ähnliche) ergibt einen Effekt, der den Auf- und Abstrich der Violine zu simulieren scheint und zur Verdeutlichung von akzentuierten Noten angewandt wird.

Tripelzunge

Artikulation der Silben Te-ke-te, Ta-ka-ta, Tu-ku-tu oder ähnliche. Weichere Variante: De-ge-de, Da-ga-da oder Du-gu-du.

Flatterzunge

Kann auf zwei Arten erzeugt werden:

  1. Es wird ein rollendes R artikuliert, was ein schnelles Tremolo erzeugt.

  2. Es wird ein gutturales R artikuliert (wie beim Gurgeln). Diese Methode ist für leise und sanfte Passagen geeignet, da der Geräuschanteil geringer ist.

Triller

Die Piccoloflöte ist zur Ausführung von Trillern besonders geeignet. Halb- und Ganztontriller sind bis zum a4 möglich.

Tremolo

Tremoli können auf der Piccoloflöte mit Ausnahme der Extremlagen problemlos ausgeführt werden.

Legato

Läufe

Modern

Moderne KomponistInnen verlangen der Piccoloflöte oft dieselben modernen Spieltechniken ab wie der Großen Flöte. Aufgrund der kleinen Maße (Resonanzraum, Klappen, Anblasloch) des Piccolo ist die Wirkung jedoch reduziert:

Klappenschlagen klingt wesentlich leiser als auf der Großen Flöte.

Ebenso wird durch perkussive Zungeneffekte wie tongue ram (tongue stop) und Zungeschnalzen (tongue click) über dem Anblasloch weniger Resonanz erzeugt.

Pitch bending (Tonhöhenänderung innerhalb eines Tones durch Änderung des Anblaswinkels): Erhöhungen und Vertiefungen eines Tones sind wegen des schmalen Anblasloches nur geringfügig (etwa um einen Viertel-Ton möglich.

Klangcharakter

Hell, klar, leicht, graziös, zart, brilliant, durchdringend, pfeifend, intensiv, schneidend, stechend, schrill, scharf, kreischend.

Das Piccolo hat zwei entgegengesetzte Charaktere: so zart und lieblich sein Klang im Piano ist, so eindringlich und schrill sind seine Wirkungen im Forte.

Der Klang ist weniger voluminös und leuchtend, jedoch konzentrierter und durchdringender als der Klang der Großen Flöte.

Tiefes Register
(d2 – g2)

Die tiefen Töne sind wie bei der Großen Flöte obertonarm. Sie klingen matt und etwas hohl und werden gelegentlich genutzt, um eine geisterhafte Wirkung zu erzeugen. Diese Töne klingen auf der Großen Flöte, wo sie im mittleren Register liegen, viel kräftiger und voller.

Mittleres Register
(gis2 – c4)

Mittleres und hohes Register (mit Ausnahme der höchsten Töne) bilden den Hauptklangbereich.
Je nach Einsatzgebiet können zarte und graziöse Wirkungen erzielt werden, z.B. zur Nachahmung von Vogelstimmen oder anderer Naturlaute. Speziell im Forte oder Fortissimo sind aber auch schreckenerregende und schaurige Effekte möglich, wie z.B. im Scythenchor in Christoph Willibald Glucks "Iphigenie auf Tauris" (1779).

Hohes Register
(cis4 – c5)

Die hohen Töne setzen das hohe Register der Großen Flöte fort; im Forte klingen sie schneidend und stechen auch im Tutti heraus. Die höchsten Töne (h4, c5 ) sind nur forciert gespielt möglich und klingen schrill.

Klangverbindungen

Das Piccolo wurde seit der Epoche der Klassik für lautmalerische Wirkungen herangezogen, hauptsächlich, um Naturstimmen zu versinnbildlichen (Vögel, Sturm, Blitz). Der schrille und schneidende Klang wurde immer wieder für spezielle Effekte genutzt. Das romantische Orchester nutzt den Klang des Piccolo zur Erweiterung und Aufhellung in der Höhe. Wichtige Aufgaben erfüllt das Piccolo vor allem im Tutti, wo es als oberste Oktave melodischen Linien, die aus vielfachen Oktavverdoppelungen zusammengesetzt sind, eine durchdringende Kontur verleiht. Solistische Einsätze sind selten.

Piccoloflöte + Holzblasinstrumente

Mit der Großen Flöte ergibt sich ein völlig homogener Gesamtklang. Das Piccolo verstärkt die Große Flöte, indem sie die Oberoktave spielt. Sie kann auch die höchsten Töne der Großen Flöte im Unisono verstärken.

Oktavverdopplungen sind auch mit den übrigen hohen Holzbläsern (Oboe, Klarinette) mit guter Wirkung möglich. Die resultierende Klangmischung intensiviert den Orchesterklang im hohen Bereich.

Piccoloflöte + Schlagwerk

Piccoloflöte + Große Trommel/ Kleine Trommel

Ein traditionelles Instrumentenpaar, das durch seinen Klang für „militärisches“ Kolorit sorgen soll, für Aufmärsche in Opern und programmatischen Orchesterwerken.

Piccoloflöte + Becken

Das Staccato der Piccoloflöte zusammen mit einem Beckenschlag wirkt wie ein kurzer, durchbohrender Schrei oder ein Dolchstoß. Spontini nutzte diesen Effekt in seinem „Bacchanal der Danaiden“.

Repertoire

Piccolo im Orchester

  • Georg Friedrich Handel

    • Rinaldo (1711), Wassermusik (für “flauto piccolo”) (1715)
  • Antonio Vivaldi

    • Concerti per flautino
  • Jean-Philippe Rameau

    • Les Indes galantes (1735), Dardanus (1739)
  • Willibald Gluck

    • Iphigenie en Tauride (1779)
  • Wolfgang A. Mozart

    • Die Zauberflöte (Monostatos-Arie) (1791)
  • Ludwig van Beethoven

    • Symphonien 5, 6 und 9, Egmont-Ouvertüre
  • Carl Maria von Weber

    • Der Freischütz (1821)
  • Gasparo Spontini

    • Bacchanal der Danaiden
  • Johann Strauss

    • Perpetuum mobile (Piccolo-Solo)
  • Hector Berlioz

    • Grand Symphonie funèbre et triomphale (1840)
  • Giuseppe Verdi

    • Requiem (1874), Rigoletto (1851)
  • Nikolai Rimsky-Korsakov

    • Scheherazade (1888)
  • Richard Strauss

    • Salome (1905), „Alpensymphonie“ (1915)
  • Claude Debussy

    • La Mer (1903-1905)
  • Gustav Mahler

    • 2.Symphonie (bedeutendes Solo für Piccolo)
  • Dmitri Shostakovitch

    • 8.Symphonie (1943)
  • Benjamin Britten

    • Young People's Guide for the Orchestra (1946)
  • Oliver Messiaen

    • Saint François d’Assise (Opera, 3 Piccolos) (1974–82)

Piccolo kammermusikalisch, solo

  • Arnold Schoenberg

    • Pierrot lunaire (1912), Kammersymphonie (1907)
  • Galina Ustwolskaya

    • Dona nobis pacem (Trio für Piccolo, Tuba und Klavier)
  • Thea Musgrave

    • Piccolo play (Piccolo und Klavier)